Begleitet unterwegs

Das Haus für Gregorianik in München ist mit Manufactum, konkret mit dem von Martin Erdmann betreuten Bereich „Gutes aus Klöstern“ eine klangvolle Projektpartnerschaft eingegangen. Die erste CD der neuen Reihe Edition Klangschritte trägt den Titel „Begleitet unterwegs“ und wurde im Februar 2013 aufgenommen. Ziel der Reihe ist es, Gregorianik neu zu vermitteln, indem, mit den Worten eines Einlagezettels zum Manufcatum-Katalog gesagt, „in einem Gestus künstlerischer Offenheit“ existenzielle und dramaturgische Zugänge vermittelt werden. Die fünfzehn Stationen der CD umfassen ausschließlich den sogenannten Gradual-Psalmen (Pss. 120-134) entnommene Gesangstexte „und zeichnen eine innere Pilgerreise nach“, die Martin Erdmann mit sehr persönlichen Worten im Booklet als „König Davids Psalmenreise. Eine fiktive Begegnung“ in die Alltagssprache übersetzt. Die Harfe König Davids wird vertreten durch eine Bratsche: Der junge, in Moskau geborene Georg Roters, bringt die als Auftragskompositionen zu dieser CD von Bernd Redmann, München, geschaffenen, viel zu bescheiden Nachklänge genannten Skizzen, meisterhaft zur Geltung.

Diese CD ist, um es direkt zu sagen, ein Kleinod für Spezialisten und solche, die sich sehr mühen, übend einzutauchen in die Theologie der Psalmen, in die Auswahl von Gesängen, die hier aus ihrem liturgischen Kontext gelöst werden, und zusätzlich in die modernen Skizzen für Bratsche mit ihren subtilen Anspielungen an gregorianische Motive, die als Ostinati, Tremoli, Klangschichtungen oder rhythmische Varianten darin verborgen sind. Was die Einspielung klar nicht ist: eine „nur“ meditative Musik aus dem Kloster, um allgemein Ruhe und ein Gefühl von Mediation zu konsumieren!

Die fünf Herren und drei Damen der Münchener Scholaren sind nicht nur die „Klangwerdung“ des Münchener Gregorianik-Hauses, sondern haben ihre Qualitäten bereits bewiesen anhand der Begleit-CDs zu den inzwischen drei Übungsbüchern von Gregor Baumhof OSB zur Gregorianik, erschienen im Kösel-Verlag. Die in umfangreichen gemeinsamen Projekten gewachsene Homogenität und Intonationssicherheit überzeugt auch bei der vorliegenden Einspielung.

Die fünfzehn Stationen sind zu drei übergeordneten thematischen Blöcken zusammengefasst: Suche und Aufbruch (1 bis 5), Gedanken unterwegs (6 bis 10) und Ankunft und Geborgenheit (11 bis 15). Stilistisch folgt einem größeren melismatischen Gesang (IN, GR oder OF) stets eine syllabische Offiziumsantiphon mit gleichem Psalmentext. Das hilft dem Hörer, sich die Kernbegriffe dieser Pilgertexte besser einzuprägen.

Die Qualifikation von Sängerinnen, Sängern und deren Leiter bedeutet selbstverständlich eine Interpretation nach restituierten Fassungen auf semiologischer Basis. An dieser Stelle sind jetzt seitens des Rezensenten uneingeschränktes Lob, aber auch Anmerkungen oder Hinweise auf kleinere Merkwürdigkeiten fällig:

Die Herrenschola eröffnet mit dem GR Ad Dominum dum tribularer. Die Damen schließen an mit der Psalmantiphon Clamavi, wobei die Ausführung stets textgerecht und klangschön zugleich ist. Die Qualität des Legato ist durchweg gut, weswegen allerkleinste Abweichungen einem kundigen Ohr auffallen könnten, so z.B. die sensible Folge von vier kurrenten Neumen Torculus-Torculus-Pes-Pes bei in turribus im GR Laetatus sum (GT 337, 2) mit leichter Tendenz zum Rhythmisieren.

Bei einer Communio wie Ierusalem (Track 7) wird die Antiphon nach einem eingeschobenen Psalmvers wiederholt, ganz so, wie es auch liturgische Praxis wäre. Ich finde es schade, dass gerade im hier gegebenen nicht liturgischen Kontext dazu die Nova Vulgata zugrunde gelegt wird. Einerseits sind die Verse anhand des von M. Hermes editierten Versiculariums SG 381 (EOS-Verlag St. Ottilien, zuletzt 2. Aufl. 2010) leicht zugänglich, andererseits eliminiert die Nova Vulgata viele schöne Bilder: So wird z.B. aus der abundantia in turribus tuis , eben noch in Track 5 erklungen, in der neuen Fassung die zwar sprachlich korrektere, bildlich aber ärmere securitas in turribus tuis. Der IN Sicut oculi (GT 77) ist noch nicht im Graduale Novum publiziert. Dass das Stück hier ohne Melodiekorrekturen eingespielt wurde, ist nachzusehen, wäre aber kein Muss gewesen, ist doch der entsprechende Restitutionsvorschlag in BzG 54, 18 im Dezember 2012 wenige Wochen vor der Aufnahme erschienen. Niemals jedoch tangiert solches „Übersehen“ einer Restitution den Wesenskern und Charakter eines Gesanges.

Einfach schade ist es jedoch, dass der Psalmvers zum IN Si iniquitates (GT 350, Track 13) ganz ohne Korrektur aus dem GT (3. Modus mit Tenor do statt si!) abgesungen wird.
Im GR Anima nostra (GT 453) wäre unabhängig vom noch nicht publizierten Restitutionsvorschlag BzG 56,53 zumindest die Korrektur des si zum do im Schlussmelisma des Soloverses notwendig gewesen, weil es eine bekannte Formel in den GR im V. Modus ist.
Im Nachklang Giocoso (Track 26) malt Redmann die Freude über das zerrissene Netz des Jägers lautmalerisch aus und bedient sich dabei der Formeln des Graduale, insbesondere dieser Schlussformel.

Alle von Bernd Redmann geschriebenen Nachklänge muss man angesichts ihrer komprimierten Dichte von meistens unter zwei Minuten mehrfach hören, um ihre kunstvolle Motivik genauer erfassen zu können. Persönlich gefällt mir das die CD abschließende Moderato scherzando (Track 30) mit seinen Variationen zum Ecce-quam-bonum-Motiv am besten. Vielleicht hätte der Komponist den Mut aufbringen sollen, insgesamt mehrere Phrasen der neun Stücke als rein einstimmige Linien zu gestalten: gleichsam wie „auf einem Bogenstrich“. Er wählt jedoch mit der häufigen Mehrstimmigkeit und Clusterbildung mithilfe von „Rauschtönen“ wohl absichtlich den vielleicht noch größeren Kontrast zur Gregorianik.

Das Booklet lässt kaum einen Wunsch offen: Alle Gesangstexte sind lat.-dt. abgedruckt und die Textquellen angegeben; die Kommentare zu jeder Station von Martin Erdmann erreichen oft das Niveau einer tiefenpsychologischen Psalmenauslegung, laut Vorwort „bewußt subjektiv und ohne historisch-kritische Intention“. Die Fotos zeigen nicht nur alle Musikerinnen und Musiker einschließlich des bewährten Tonmeisters Michael Grobe, sondern auch Auszüge aus der handschriftlichen Partitur Bernd Redmanns. Baumhof ist, was seine Bücher beweisen, ein Freund eigener interlinearer deutscher Übersetzungen der lat. Gesänge. Bei der Fülle an Texten ist natürlich nicht alles gleich gut gelungen: im OF Laudate hätte ich quoniam suavis nicht mit gütig, sondern ganz wörtlich mit süß wiedergegeben.

Der vorliegenden CD und bereits jetzt schon der gesamten Reihe ist eine gute Aufnahme seitens eines interessierten Publikums sehr zu wünschen. Dabei begleitet uns eine Vorfreude auf neue Kontraste und Klangdialoge zum authentischen Gregorianischen Choral. Der Wechsel von Herren- und Damenschola macht das Zuhören im übrigen zu einem kurzweiligen, nicht alltäglichen und damit spannenden Genuss.

Bernhard Pfeiffer