Als Begleitmaßnahme zum Erscheinen des Graduale Novum (2011) sollen nach und nach alle Proprien dieses Buches auch auf CD’s eingespielt werden. Unter der umsichtigen Leitung von Johannes Berchmans Göschl werden sich an diesem ehrgeizigen Projekt mehrere Scholen beteiligen, Göschl selbst legt mit dieser CD die drei Weihnachtsmessen und das Proprium von Epiphanie vor. Manche dieser Gesänge hat er nicht zum ersten Mal auf Tonträger veröffentlicht, und auch viele andere Scholen haben sich bereits an diesen Gesängen mehr oder weniger erfolgreich versucht. Doch selten kann man von einer CD sagen: Hier ist in Summe ein großer Wurf gelungen, hier haben wir eine exemplarische Einspielung vor uns, die unter mehreren Aspekten beachtlich ist: klanglich, von der Musikalität her, in der interpretatorischen Umsetzung semiologischer
Daten, auch in der Aufbereitung des Materials durch das Booklet. Einen solchen Glücksfall haben wir mit dieser CD vor uns, deren Titel vom Incipit der Communio der zweiten Weihnachtsmesse genommen ist, die vielleicht am besten den Inhalt des Weihnachtsfestes zusammenfasst: Die Kirche („Tochter Sion“) soll jubeln über das Kommen ihres Gottes und Erlösers. Die unterschiedlichen Facetten einer Theologie des rund 14 Tage gefeierten Weihnachtsfestes werden auf vielfältige Weise in den Gesängen der Messe entfaltet. Immer ist jedoch das (dogmatisch-liturgische) Bekenntnis der Kirche im Kleide der Anamnese und Doxologie ausgedrückt, manchmal in überschäumendem auch äußeren Jubel, manchmal im stillen Staunen und in mystischer Versenkung, immer im konkreten Bezug zur feiernden und im aktiven, innerlich aufnahmebereiten Hören am Geschehen beteiligten Gemeinde. Dies wird auf der vorliegenden Aufnahme auch einmal hörbar. Die neun Sänger der Schola Monacensis und deren Dirigent wissen, was und wovon sie singen und gestalten ihre Musik aus diesem Hintergrund heraus, der damit eine Chance bekommt, auch im Vordergrund wahrgenommen zu werden. Nicht immer kann das von eingespielter Vokalmusik behauptet werden. Die vorliegende Aufnahme zeichnet sich dadurch aus, dass sie „spannend“ gesungen ist. Die Zielworte, Sinnspitzen und musikalisch-rhetorischen Höhepunkte werden dynamisch vorbereitet und überzeugend ausgesungen. Der rhetorische Spannungsbogen des Textes findet sich auch in seiner musikalischen Umsetzung durch ein gekonntes Ansteuern der Drehpunkte, die große Flexibilität der gesprochenen Sprache wird auch im musikalischen Erklingen realisiert. Man hört nicht nur das einzelne Wort, sondern immer auch den Satz und das Satzglied. Dies in Verbindung mit einer minutiösen Umsetzung der semiologischen Daten im Detail, die von souveräner Quellenkenntnis zeugt. Solcherart wird auch Gregorianik im Umfang von etwas über 60 Minuten nie langweilig. Man hört gerne zu und lässt sich mitunter auch von dem fesseln, was aus dem Lautsprecher kommt. Der musikalische Funke springt über, und damit hat auch die dahinter liegende Botschaft eine Chance, gehört zu werden und anzukommen. Rein technisch gesprochen hört man ein fast immer perfektes Legato, auch wenn es nach profilierten Wortakzenten und sonstigen mehrwertigen Noten weitergeht, trotz aller unterschiedlicher Neumenkonstellationen sind die Wörter so gut wie immer in der richtigen sprachlichen Balance, die Flexibilität, mit der die unterschiedlichen Dosierungen etwa von Pes und Torculus behandelt werden, erstaunt und überzeugt. Die Schola ist eindeutig von Tenören dominiert, man singt sehr hoch. Dies bringt Spannung und Strahlkraft mit sich, aber auch die Gefahr, dass mancher Hoch- und Höchstton dann nicht mehr in letzter Souveränität ausgesungen wird. Sucht man unter all dem Guten nach dem Besten, so sind das die beiden Gradualien Viderunt und Omnes de Saba, bei denen es dem im Musikhören abgebrühten Rezensenten kalt über den Rücken gelaufen ist. Sebastian Schober erweist sich als Solist in seiner Ausdrucksfähigkeit und Emotionalität als ein wahrer Pavarotti der Gregorianik. Auch die anderen Solisten sind des Lobes würdig. Die Communio Viderunt gehört ebenfalls zu den Highlights.
Bei so viel Freude über eine schöne CD darf man auch Details zur Diskussion stellen, wohl wissend, dass hier auf sehr hohem Niveau gejammert wird. Ein generelles Problem sind dem Rezensenten jene Kadenzen, die mit einem Pressus maior aufhören, der in der Metzer Notation mit Punkt und Oriscusclivis geschrieben ist, so in den Gradualien des fünften Modus. Warum ist es nicht möglich, diese Kadenzen ganz locker, leicht und ohne großes Ritardando zu singen? Es ist doch auch ein Ausdruckmittel, einen Schluss nicht immer langsam und mit Gewicht auslaufen zu lassen, sondern leicht und schnell zu gestalten. Das Wort eius hat immer dann seine besonderen Tücken, wenn zur Liqueszenz am Wortakzent ein Zusatzton hinzukommt, der in seiner Leichtigkeit die Wortbetonung zum Kippen bringt, sodass eius daraus wird (das gleiche Problem gilt für sanctus im Exsulta filia). Rezensent war etwas verwundert, dass diese Schola mitten im Alleluia des zweiten Modus atmet, das ist
ja wohl nicht notwendig und vermindert die Spannung des Melismas. Im Gegenzug wird manche Spannung dadurch erhöht, dass die Schola an manchen amtlich verordneten Atemstellen nicht atmet, sondern anderswo oder gar nicht. Recht so, dass sich der Interpret Göschl gegenüber dem Herausgeber Göschl diese Freiheit herausnimmt. Die Psalmverse bei Introitus und Communio sind fast immer sehr plastisch gestaltet, gerade beim Exsulta filia hätte man sich eine größere Distanz zu einem latenten Äqualismus gewünscht. Nachdem zu Recht im Booklet die Rolle Christi als Schöpfer der Welt im Ausdruck der Gesänge so klar dargestellt worden ist, kann man auch fragen, warum der Torculus der Wortartikulation bei Tui sunt caeli und Deus enim firmavit nicht noch deutlicher spannungsvoll ritardiert wurde. Das sind Details, die diskutiert werden sollen, aber nicht den Gesamteindruck mindern. Im Booklet selbst findet sich ein rundum kundiger und erhellender Aufsatz von Johannes Berchmans Göschl zum Weihnachtsfest, seiner Theologie und deren Umsetzung in den Gesängen des gregorianischen Proprium Missae. Hier schreibt der aus dem Vollen schöpfende Meister der liturgischen Theologie und Musik. Es ist vielleicht nur anzumerken, dass in der heutigen Diskussion die Sichtweise, dass das Weihnachtsfest eine Reaktion auf heidnische Feste ist, nicht mehr uneingeschränkt geteilt, sondern teilweise heftig in Frage gestellt wird. Die gekonnte Aufbereitung der lateinischen Texte und deren wörtliche, den Sinn erhellende Übersetzung stammt von Heinrich Rumphorst. Das Booklet ist auch optisch ansprechend aufbereitet, sodass das vorliegende Produkt rundum eine Freude ist: für das Gemüt, das Auge und vor allem für das Ohr.