In excelso throno

Die kurze Titelangabe der CD, die dem Käufer und Hörer eine schnelle Information über den Inhalt gibt, machte am Anfang der Einleitung im Booklet (S. 4 f.) eine Erläuterung notwendig: Gemeint ist nämlich mit dem „Sonntag I im Jahreskreis“ das Meßproprium der ersten Woche im Jahreskreis, das dem Sonntag folgt, auf den in der nachkonziliaren Ordnung das Fest der Taufe Christi gelegt wurde, mit dem die Weihnachtszeit schließt. Daß dieses Meßproprium des früheren Sonntags nach Epiphanie, jetzt der ersten Woche im Jahreskreis, den Anfang der CD bildet, hat seinen Grund darin, daß „es seit alters enge inhaltliche Bezüge zu den Messproprien der beiden nachfolgenden Sonntage und zusammen mit diesen zum Meßproprium von Epiphanie aufweist.“ So dürfte auch das ecce im Innern des Introitus In excelso throno, das die Vertonung des Ecce am Anfang des Introitus von Epiphanie aufweist, eine bewußte Anspielung sein. In seiner Einleitung im Booklet erklärt Johannes Berchmans Göschl die ursprünglichen liturgischen Orte und Zusammenhänge der Gesänge vor der Liturgiereform des II. Vatikanums. (Bereinigt wurde durch die Neuordnung z.B. auch der merkwürdige Zustand, daß bei einem sehr frühen Ostertermin die nach Epiphanie im Januar ausgefallenen Sonntage am Ende des Kirchenjahres, also vor allem im November, „nachgeholt“ und im alten Schott auch so bezeichnet wurden.)

Aufgenommen wurden die Gesänge in der Kapelle des Priesterseminars zu Regensburg am 2. und 3. September 2013. Die akustischen Verhältnisse dieses Raumes geben den für die Gestaltung notwendigen Hall, mit dem die Schola Gregoriana Monacensis unter der Leitung von Johannes Berchmans Göschl die Meßproprien in schönem, bewährtem Klang als zuverlässige Interpretin gestaltet. Die Gruppe singt fast ausnahmslos homogen und legato (eine technische Ungenauigkeit trifft den Einsatz der Introitus Adorate und Laetetur). Die Dynamik ist angemessen abwechslungsreich und den Texten entsprechend, inhaltlich-musikalische Höhepunkte werden von der Schola und den Solisten ausdrucksstark gesungen. Das Tempo könnte man sich bei einigen Gesängen, z.B. dem Introitus Dicit Dominus: Ego cogito (Track 24), auch etwas straffer vorstellen.

Von den Propriumsgesänge der ersten Woche und der Sonntage fanden nicht alle je nach Lesejahren unterschiedlichen Gesänge auf der CD Platz. Von den drei Fassungen der Communio Mirabantur omnes im Graduale Novum I (S. 232) wurde nur die erste im VII. Modus eingesungen (Tr. 13), die in der Vaticana 1908 als einzige enthalten war. Verzichtet wurde auf das Graduale Benedictus Dominus (GrN I 48), weil es zur Aufnahme des liturgisch früheren Festes der Taufe Christi gehört, und auf das Offertorium Iubilate Deo universa terra im I. Modus (GrN I 200), „da es bereits im Zusammenhang der nachösterlichen Sonntage aufgenommen wurde.“

Dafür gehört das Offertorium im V. Modus Iubilate Deo omnis terra der ersten Woche (Tr. 3) zu den auf der CD versammelten Gesängen und ist ein besonders gelungenes Beispiel der hohen Qualitäten dieses Ensembles. Wie im erstgenannten Offertorium ist entgegen dem zugrundeliegenden Psalmtext auch hier der Text des ersten Satzes wiederholt (im Booklet leider nicht abgedruckt), und auf dem Wortakzent dieses zweiten Jubite entfaltet ein reich gestaltetes Melisma einen fast grenzenlosen Jubel, der von der Schola mit größter Intensität umgesetzt wird. Bemerkenswert ist übrigens bei diesem Offertorium, wie die Komposition der dem Iubilate folgenden Worte Deo omnis terra in der Wiederholung die Vertonung dieser Worte aus dem ersten Teil entweder Ton für Ton oder verändernd und erweiternd aufnimmt.

Solche Steigerungen, die der Aussage des Textes und der Komposition folgen, werden durchweg von der Gesamtschola und von den Solisten vorbildlich gestaltet. Auch das Graduale Misit Dominus (Tr. 6 / GrN I 224) ist ein Beispiel dafür: Misit Dominus verbum suum, et sanavit eos – Der Herr sandte sein Wort und heilte sie, anders gesagt: das Ziel der Menschwerdung Christi und seines Kreuzestodes war die Heilung der Menschen (für das ewige Leben). Von den ersten Tönen des Graduales an ist die Steigerung angelegt auf diejenigen hin, die gemeint sind, e-os, und die Schola folgt den Vorgaben des Komponisten, der dem Melisma auf dem Wortakzent mit einer Quart einen sehr intensiven Abschluß gibt: Deren obere Tonstufe ist die höchste des ganzen Responsums, bestehend aus drei unisonischen längeren Tönen, und senkt sich ab auf den Tenor des V. Modus.

Im Responsum dieses Graduales tragen die ersten Worte, Confiteantur Domino misericordiae eius – Preisen sollen den Herrn die Taten seiner Barmherzigkeit, lange Melismen und lassen so die Vorstellung Klang werden, daß weder das Preisen noch die Barmherzigkeit Gottes schnell enden sollen. Der Solist Sebastian Schober gestaltet (wie alle anderen Gradualverse) diese Interpretation eindringlich mit dem differenzierten Klangeinsatz seiner wohllautenden, ausdrucksstarken Stimme. Göschl erläutert im Booklet (S. 8) zu diesem Graduale, daß die hier wie in anderen Gradualia des V. Modus verwendeten formelhaften Wendungen „bedeutungsvollen Begriffen und Textstellen vorbehalten sind.“ Auch später, im Vers des Graduale Quis sicut Dominus (Tr. 15), läßt der Solist das eindrucksvoll Klang werden, wo sich derselbe Formelabschnitt (wie am Ende von eos) am Ende des Melismas über der Endsilbe von suscitans findet: Suscitans a terra inopem – der aufrichtet von der Erde den Armen. Dieses Aufrichten füllt das ihm vorhergehende respicit humilia – er schaut auf das Niedrige inhaltlich mit konkretem Leben; es ist, wie oben das sanavit eos, auf Dauer angelegt und wird mit großer Eindringlichkeit zum wortmusikalischen Ausdruck gebracht.

Die Schreiber der ältesten adiastematischen Handschriften haben in ihren Graphien viele feine Nuancen der musikalisch-agogischen Textgestaltung überliefert. Dazu gehört z.B. die augmentative Liqueszenz, die bestimmte Worte ausgeprägter hören läßt.

Entsprechend wird in der Communio Amen dico vobisAmen, ich sage euch (Tr. 28) die augmentative Liqueszenz über der Akzentsilbe von orantes so einfühlsam gestaltet, daß beim Hören klar wird: Nicht, „was immer ihr (einfach so) erbittet“, sondern, Was immer ihr im Gebet erbittet(,glaubt nur, daß ihr es erhalten werdet)quidquid orantes petitis. In der Communio Illumina faciem tuam – Lass leuchten dein Angesicht (Tr. 18) wird das salvum (me fac) – heil (mache mich) mit dem je nichtkurrenten Pes mit augmentativer Liqueszenz über den beiden Silben so prägnant gesungen, daß ohne Erläuterung deutlich wird, worum gebeten und gebetet wird. (Am Ende des letztgenannten Gesangs sollte die den Abschluß charakterisierende Schlußformel auf invocavi te – ich habe dich angerufen nicht so stark zurückgenommen werden, damit die Wichtigkeit des letzten Wortes teDich habe ich angerufen deutlicher zum Ausdruck kommt.)

Auch der den Text agogisch modellierende Endsilbentorculus wird sorgfältig berücksichtigt. Beim ersten Wort der Communio Notas mihi fecistiKundgetan hast du mir (die Wege des Lebens / Tr. 4) wird mit diesem Torculus die Wichtigkeit dieses Kundtuns, Bekanntmachens gleich am Anfang klar herausgestellt. In der Communio Dicit Dominus: Implete hydrias aquaDer Herr spricht: Füllt die Krüge mit Wasser (Tr. 8) läßt der Torculus auf der Endsilbe von aquam vor vinum auf den entstandenen Unterschied zwischen diesen beiden „Flüssigkeiten“ aufmerksam werden: daß Wasser – Wein geworden war.

Besondere Aussagen durch etwas länger auskomponierte Worte werden durch intensiven dynamischen Gesangsvortrag deutlich gemacht. Auch dafür seien zwei Beispiele genannt: Im Introitus Dicit Dominus: ego cogito cogitationes pacisDer Herr spricht: Ich denke Gedanken des Friedens (Tr. 24), verspricht Gott, seinem Volk Frieden zu schenken; dieses Wort pacis ist mit einem nicht sehr langen, aber melodisch und rhythmisch-agogisch besonderen Melisma auf dem Wortakzent herausgehoben und wird eindringlich gestaltet. Bei orationem meam – (erhöre) mein Gebet im Offertorium De profundis (Tr. 27) läßt das lange Melisma auf der Endsilbe von meam das Beten kaum enden.

Die Phrasierung der Textabschnitte und der Melismen richtet sich nach ihrer jeweiligen Gestalt und ihrem Zusammenhang. Die im Buch angegebenen Gliederungszeichen werden je nach ihrem Zusammenhang in die Gestaltung einbezogen, d.h. sie werden eingehalten, angedeutet oder weggelassen, sie sind Teil der Interpretation.

Auf die Einführung im Booklet (S. 2 bis 15) von Johannes Berchmans Göschl wurde schon hingewiesen. Sie ist nicht nur für die Erläuterung der ursprünglichen liturgischen Zusammenhänge der aufgenommenen Gesänge wichtig und lesenswert, sondern auch für die Interpretation der Gesänge, ihren theologischen Gehalt und ihre musikalische Umsetzung. Im Zusammenhang mit der Interpretation auf der CD ermöglichen die Erläuterungen ein vertieftes Verständnis des Gregorianischen Chorals und seiner Ausführung im Gesang.

Das Booklet enthält auch kurze Berichte über die Ausführenden und den Hinweis auf die Edition des Graduale Novum 2011, alle Gesangstexte in lateinischer Sprache mit der Angabe der Schriftquellen und mit deutscher und englischer Übersetzung. Die Übersetzungen sind notwendig und hilfreich, an einigen Stellen der deutschen Übersetzung wäre freilich die Beibehaltung der Wortstellung hilfreicher. Die Wortstellung Fürchten werden die Heiden deinen Namen, Herr in Tr. 10 für Timebunt gentes nomen tuum, Domine würde den Gesangstext leichter nachvollziehen lassen als Die Heiden werden deinen Namen fürchten, Herr,und ebenso Befreit hast du uns, o Herr in Tr. 25 für Liberasti nos, Domine besser als Du hast uns befreit, o Herr, weil dann jeweils die wichtige Aussage wie im lateinischen Gesangstext gleich am Anfang erscheint.

Das Booklet ist überaus sorgfältig gearbeitet, und fast ganz ohne Druckfehler. Ein einziges Versehen soll angemerkt werden: Im Psalmvers zur Communio Dicit Dominus: implete hydrias (Tr. 8) muß im Booklet am Anfang der zweiten Hälfte vor auditam ein et ergänzt werden, das auch gesungen wird. Das Booklet enthält je ein Photo der Schola Gregoriana Monacensis und des Aufnahmeortes, außerdem das Notenbild von fünf Gesängen aus vier verschiedenen diastematischen und einer adiastematischen Handschrift, die einen Eindruck von der unterschiedlichen handschriftlichen Überlieferung geben.

Die Aufnahme ist eine wichtige Etappe in der fortschreitenden CD-Aufnahme aller Gesänge des Graduale Novum. Sie ist sehr hörenswert, sowohl als schlüssige Interpretation der in den Handschriften überlieferten Gesänge, als auch in der hohen Qualität der gesanglichen Ausführung durch die Gesamtgruppe und die verschiedenen Solisten, deren Namen im Booklet bei jedem Gesang angegeben sind.

Heinrich Rumphorst
Bezugsquelle